Ich beziehe mich hier auf den vorigen Blogbeitrag «wir sind Ohr» von Remo, bei dem er über den von Papst Franziskus ausgerufenen «Synodalen Weg» berichtet. Das Ohr – ein Sinnesorgan, von dem ich schon öfter das Gefühl hatte, dass es einen prominenteren Platz in der Kirche haben sollte. Ein Blick in die Geistesgaben unter 1 Kor 12, 1-11 weckt bei mir einen Verdacht, woran das liegen könnte. Und falls ihr die Bibelstelle nicht auswendig im Kopf habt, hier ein Überblick über die dort beschriebenen Geistesgaben: Weisheit mitteilen, Erkenntnis vermitteln, Glaubenskraft, Krankheiten heilen, Machttaten wirken, prophetisches Reden, Geister unterscheiden, Zungenrede und die Gabe, diese zu übersetzen.
Habt ihr es auch bemerkt? Bei zumindest vier Gaben geht es ums Reden. Stattet uns der Heilige Geist vielleicht zu stark mit dem Mund aus und zu wenig mit dem Ohr? Sind wir zu sehr darauf bedacht, den Menschen etwas zu sagen als sie anzuhören?

Naja, der Heilige Geist weiss bestimmt, was er tut. Und schliesslich braucht es für viele Geistesgaben, insbesondere die Letzte, die Voraussetzung, zuerst einmal zu hören. Wie auch immer. Papst Franziskus und die Bischöfe wollen nun also ihre Ohren öffnen. Doch wenn sie Ohr sind, was bin dann ich? Was bin ich als Mitarbeiterin dieser Kirche? Ist mein Mund gefragt, denen «da oben» mal endlich klar und deutlich meine Meinung zu sagen? Oder ist es nun vielleicht auch mein Job, meine Ohren zu öffnen, um das verlängerte Ohr für den Papst zu sein?

Ein Blick in die nächsten Zeilen nach den oben erwähnten Bibelstelle gibt eine klare Antwort. Beides ist von mir gefragt. Denn Gott hat mit Ohr und Mund gegeben, um sie beide einzusetzen. Und dabei sollte ich die Ohren nicht alleine lassen mit dem Gehörten. Oder wie es ein ehemaliger Kollege gerne bezeichnete als «Göschenen-Airolo», für alles, was wir einfach bei dem einen Ohr hinein und beim anderen gleich wieder rauslassen, ohne unser Herz oder Hirn davon treffen zu lassen.

Schön, dass unser Mund gefragt ist! Doch belassen wir es nicht dabei, nun unsere Meinung zu sagen. Öffnen wir unsere Ohren für die, deren Stimme kaum gehört wird. Laden wir die Menschen ein, Stimme zu ergreifen. Suchen wir jene auf, die keinen fixen Platz in unseren sonntäglichen Kirchenbänken haben. Ganz besonders auch die jungen Menschen. Sie sollten massgebend den weiteren Weg der Kirche beeinflussen können, denn immerhin werden sie ihn am Meisten zu spüren bekommen bzw. miterleben.

Nehmen wir es als Trendwende in unserer Kirche, als kirchliche Mitarbeitende unsere Ohren anzubieten für die vielen Menschen, die alle durch die Taufe vom Geist erfüllt sind und mit seinen verliehenen Gaben uns viel zu sagen haben. Ergreifen wir unsere mitgestaltende Stimme und lasst uns zum Ohr für die jungen Menschen werden, um ihnen den gebührenden Platz für diesen synodalen Weg zu geben.

Und dann hätte ich eigentlich nur noch eine Wunsch: Bitte kein «Göschenen-Airolo»!