Rein biologisch gesehen ist Angst positiv. Der Körper reagiert physisch auf eine Gefahrensituation, damit wir notfalls fliehen oder uns wehren können.

Angst hat aber auch eine ganz andere, viel diffusere Dimension. Im Moment ist das in unserer Gesellschaft deutlich spürbar. Es ist ungewiss, wie sich die Situation entwickeln wird. Wir haben Angst vor der Zukunft. Wir wissen nicht, wie es weiter gehen wird und wie wir uns verhalten sollen. Vielleicht gehen wir irgendwohin und stecken uns – oder was für die meisten von uns wohl noch viel schlimmer ist – die, die uns lieb sind und es nicht so gut vertragen mit einem unberechenbaren Virus an. Vielleicht treffen wir die falschen Entscheidungen.

Eigentlich ist diese reflexive Angst, die dazu führt, dass wir uns mit unserer Umwelt auseinandersetzen ebenfalls positiv. Sie gibt uns ganz viel Auskunft über uns selbst. Die Art wie wir die Welt wahrnehmen und bewerten zeigt uns, wer wir selbst sind. Unsere Ängste spiegeln woher wir kommen, was uns geprägt hat, was uns wichtig ist, aber auch was wir vermeiden wollen.

Weil alles so ungewiss ist, sucht sich unsere Psyche Gewissheiten und Sicherheiten:
Es ist sicher, wenn wir Vorräte im Keller haben, Klopapier und Nudeln horten.
Die diffuse grosse Angst wird umgewandelt in kleine Ängste, die sich besser fassen lassen: das nahende Ende der Welt, Verschwörungstheorien, Kriege, die ausbrechen werden.

Dass wir ab und an so merkwürdige Zweifel in uns aufkommen spüren, das ist ok. Aber wir sind reflexive, vernunftbegabte Wesen (zumindest die Meisten von uns). Wir wissen, dass wir ganz Vieles nicht wissen. Aber wir wissen auch, dass sich in unserem Leben immer wieder ganz verschiedene neue Möglichkeiten eröffnen, deren Entwicklung wir nicht vorhersehen können. Das kann gut sein und manchmal auch schlimm. Jede Entscheidung und jeder Schritt, den wir gehen, ist immer mit einer gewissen Ungewissheit verbunden. Das ist Freiheit.